Rashomon – Das Lustwäldchen (japanisch 羅生門, Rashōmon) ist ein japanischer Spielfilm aus dem Jahr 1950. Regie bei dem auf zwei Kurzgeschichten (Rashomon und Im Dickicht) von Akutagawa Ryūnosuke basierenden Film führte Akira Kurosawa, der gemeinsam mit Shinobu Hashimoto auch das Drehbuch schrieb. Der Untertitel „Das Lustwäldchen“ wurde vom deutschen Verleih hinzugefügt für die Kinogänger, die mit Rashomon allein nichts anfangen können. Er bezieht sich auf „Im Dickicht“.
Der Film wird als Meilenstein in der internationalen Filmgeschichte bewertet und als früheste erfolgreiche Verbindung zwischen traditionellen japanischen Motiven und europäischer Filmkunst gesehen, stellt jedoch die Handlung ausschließlich aus der Sicht des japanischen Wertesystems dar. Diese Merkmale wurden von Kurosawa zeitlebens vor allem auch in im Westen sehr bekannt gewordenen Produktionen sichtbar. Regie und schauspielerische Leistungen waren für die spätere Entwicklung des Genres richtungsweisend. Die Handlung des Filmes wurde in der westlichen Kultur häufig diskutiert und für das im Film illustrierte Phänomen, dass eine soziale Aktion von verschiedenen Menschen (völlig) unterschiedlich wahrgenommen und erinnert wird, findet in den Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften und der Philosophie auch die Bezeichnung Rashomon-Effekt Verwendung. Zudem wurde der Film kurz nach Ende des Pazifikkrieges gedreht und damit auch als stellvertretende Auseinandersetzung mit Fragen nach Schuld, Ursache und Wahrheit in Verbindung mit schweren Verbrechen diskutiert.
Die Handlung hat nichts mit der Rashōmon-Legende zu tun, sondern benutzt sie nur als Handlungsrahmen. Die Legende spielt in einer Untergangs- oder Endzeitstimmung, für die in der japanischen Literatur die ausgehende Heian-Zeit steht. Es geht im Film um die Darstellung der Vergewaltigung einer Frau und der Ermordung ihres Mannes, eines Samurai. Der Film besteht aus drei vollständig voneinander getrennten Ebenen: Der Rahmenhandlung am Rashōmon, einer Handlung vor einem Gericht sowie der Haupthandlung, die während des Filmes viermal in verschiedenen Versionen wiederholt wird, und zwar erzählt jeder der drei am Tathergang Beteiligten eine andere Version des Tatverlaufs; dazu kommt noch die Erzählung eines passiven Zeugen, eines Holzfällers.
Der Film wurde weltweit vor allem in Bezug auf die Existenz einer objektiven Wahrheit diskutiert. Die tragenden Themen des Films sind die Begriffe der Erinnerung, der Wahrheit und der Faktizität. Fragen, die der Film aufwirft, sind: Gibt es überhaupt die Wahrheit? Oder nur mehrere ganz persönliche Teilwahrheiten? Die erkenntnistheoretische Ansicht, dass Wahrnehmungen niemals ein exaktes Abbild der Realität liefern, steht im Mittelpunkt. Jede Person im Film erzählt eine ganz eigene Geschichte, die zwar jeweils in sich schlüssig ist, die aber Sachverhalte, die in den anderen Erzählungen sichtbar werden, auslässt. Dabei reflektiert der Film auch die eigene, objektivierende Funktion des Filmbildes: Einige Zeugenaussagen, die man mündlich wiedergegeben sieht und die als solche zunächst glaubhaft sind, sind selbst nur die Visualisierung von Erinnerungen anderer Personen, die fremde Zeugenaussagen wiedergeben, von denen sie selbst wiederum Zeuge geworden sind. Das faktisch Vorgefallene wird durch seine zunehmende verbale Kommentierung und der Zitation der Kommentierungen immer unergründbarer. Gerade durch diesen sorgfältigen Gang durch die verschiedenen subjektiven „Wahrheiten“ wird jedoch klar, was solche subjektive Wahrnehmung antreibt. Wer diese Botschaft versteht, hat eine Methode gefunden, sich der eigentlichen Wahrheit zu nähern, was weit wichtiger als das korrekte Erkennen des platten oberflächlichen Geschehens [ist]. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber schreibt 1953 in einem Brief an Maurice Friedman: „Könnten Sie mir vielleicht das Buch des japanischen Films Rasummon verschaffen? Ich habe ihn in Los Angeles gesehen, war tief beeindruckt davon und möchte seinen wesentlichen Inhalt benützen, um in einem anthropologischen Kapitel etwas zu veranschaulichen. […] Es ist recht wichtig für mich […]."
Die psychologische Bedeutung des Films liegt darin, dass er vorführt, wie unterschiedliche Interessenlagen und Motive die Wahrnehmung einer Situation maßgeblich beeinflussen. Aus psychologischer Sicht steht die Existenz der Realität zwar nicht zur Debatte, aber ihre Widerspiegelung durch direkte und indirekte Beobachter, die sich vom Geschehen ihre eigenen gedanklichen Konstrukte bilden, werden bedeutsam. Das Phänomen wird heute mitunter als Rashomon-Effekt bezeichnet, ist jedoch in wissenschaftlich ausgearbeiteter Form in anderen Theorien zum Beispiel als kognitive Verzerrung oder selektive Wahrnehmung bekannt.
Die Struktur des Filmes auf drei Handlungsebenen, die sorgfältige Ausarbeitung der Charaktere, die überaus akribische und detailtreue Umsetzung und die hohe Qualität der schauspielerischen Leistungen waren seinerzeit sehr überraschend. Eine derart hochwertige Produktion aus dem Nachkriegsjapan war im Westen nicht erwartet worden. Der Film machte Akira Kurosawa als Regisseur international bekannt und den Schauspieler Toshirō Mifune zum Weltstar. Eingebettet in die Geschichte einer Wahrheitssuche, zwingt Kurosawas Erzähltechnik den Zuschauer, den eigenen Augen zu misstrauen. Kurosawas formale Neuerungen beeinflussten auch das westliche Kino. Den berühmten Gang des Holzfällers durch den Dämonenwald nahm er zum Beispiel mit mehreren Kameras gleichzeitig auf und montierte die Einstellungen dann zu einem verblüffend gleitenden Bildfluss. Wie spätere Filme von Kurosawa wurde Rashomon in Japan allerdings unterschätzt und wenig bekannt.
2003 erstellte die Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit zahlreichen Filmschaffenden einen Filmkanon für die Arbeit an Schulen und nahm diesen Film in ihre Liste auf.
„Kurosawas kunstvoll ziselierter Actionfilm über die Relativität der Wahrheit schloß Japan die Tür zum Weltkino auf. Spannend, expressiv, filmisch außergewöhnlich und von Mifune mit animalischer Ausdruckstechnik glänzend gespielt. (Höchstwertung: 4 Sterne = überragend)“ Adolf Heinzlmeier, Berndt Schulz: Lexikon Filme im Fernsehen. 8500 Spielfilme TV – Video – Kabel. 2., erweiterte Auflage. Rasch und Röhring, Hamburg 1990
„Perfekt durchkomponierte Bilder und eine Erzähltechnik mit kunstvoll montierten Rückblenden geben der Geschichte trotz ihrer Komplexität große Spannung. Mit »Rashomon« wird der japanische Film erstmals einem größeren westlichen Publikum zugänglich, das begeistert reagiert.“ Brigitte Beier [u. a.], Christoph Hünermann (Redaktion): Die Chronik des Films. Chronik Verlag, Gütersloh 1994